In der Rechtssache C-295/23 zum Fremdbesitzverbot im anwaltlichen Berufsrecht (Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft) entschied der EuGH, dass es zulässig ist, nach nationalem Recht zu verbieten, dass Geschäftsanteile an einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf einen reinen Finanzinvestor übertragen werden, der nicht die Absicht hat, in der Gesellschaft eine in dieser Regelung bezeichnete berufliche Tätigkeit auszuüben und die bei Zuwiderhandlung den Widerruf der Zulassung der betreffenden Rechtsanwaltsgesellschaft zur Rechtsanwaltschaft vorsieht.
Im Fall ging es um eine im Januar 2020 gegründete deutsche Rechtsanwaltsgesellschaft in Form einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG), an der sich im März 2021 eine nicht-anwaltliche GmbH aus Österreich mit 51 % beteiligte. Zeitgleich wurde die Satzung so geändert, dass die nicht-anwaltliche Gesellschafterin keinen Einfluss auf die Berufsausübung der Anwältinnen und Anwälte nehmen konnte. Die zuständige Rechtsanwaltskammer widerrief daraufhin die Zulassung, was nach dem Wortlaut der §§ 59a, 59e, 59h BRAO in der bis 31.07.2022 geltenden Fassung auf der Hand lag. Aufgrund von Fragen bezüglich der Niederlassungsfreiheit, des freien Kapitalverkehrs und der Dienstleistungsrichtlinie legte der AGH München die Sache dem EuGH vor.
Der EuGH erklärte das anwaltliche Fremdbesitzverbot aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses für gerechtfertigt. Diese liegen in der Wahrung der ordnungsgemäßen Rechtspflege und dem Schutz der anwaltlichen Integrität (Rdnr. 68). Das von einem reinen Finanzinvestor verfolgte Ziel beschränke sich auf das Streben nach Gewinn, während sich die anwaltliche Tätigkeit nicht an rein wirtschaftlichen Zwecken ausrichte, sondern auch an die Einhaltung von Berufs- und Standesregeln gebunden sei (Rdnr. 70).
Für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs sei es unerlässlich, dass es nicht zu Interessenkonflikten komme, was voraussetze, dass Rechtsanwälte sich in einer Position der Unabhängigkeit – einschließlich in finanzieller Hinsicht – gegenüber staatlichen Stellen und anderen Wirtschaftsteilnehmern befinden, deren Einfluss sie nicht ausgesetzt sein dürfen.
Bestehe diese finanzielle Unabhängigkeit nicht, so könnten sich wirtschaftliche Überlegungen, die auf einen kurzfristigen Gewinn des reinen Finanzinvestors ausgerichtet seien, gegenüber Erwägungen durchsetzen, die ausschließlich davon geleitet sind, dass die Interessen der Mandanten der Rechtsanwaltsgesellschaft vertreten werden. Zum anderen könne das Bestehen etwaiger Verbindungen zwischen einem reinen Finanzinvestor und dem Mandanten das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant in einer Weise beeinflussen, dass der Rechtsanwalt in Konflikt mit Berufs- oder Standesregeln kommen könne (Rdnr. 71).
Ein Mitgliedstaat könne in Anbetracht des ihm somit eingeräumten Beurteilungsspielraums legitimerweise davon ausgehen, dass der Rechtsanwalt nicht in der Lage wäre, seinen Beruf unabhängig und unter Beachtung seiner Berufs- und Standespflichten auszuüben, wenn er einer Gesellschaft angehörte, zu deren Gesellschaftern Personen zählen, die zum einen weder den Rechtsanwaltsberuf noch einen anderen Beruf ausüben, für den es Regulative in Form von Berufs- und Standesregeln gibt, und die zum anderen ausschließlich als reine Finanzinvestoren handeln, ohne die Absicht zu haben, in dieser Gesellschaft eine entsprechende Berufstätigkeit auszuüben. Dies gelte erst recht, wenn es wie im Ausgangsverfahren um den Erwerb der Mehrheit der Geschäftsanteile an der in Rede stehenden Rechtsanwaltsgesellschaft durch einen solchen Investor gehe (Rdnr. 73).
Der EuGH hat den Mitgliedstaaten generell einen weiten Beurteilungsspielraum eingeräumt. Seine Ausführungen sind im Übrigen allgemein, d. h. unabhängig von der alten oder neuen Fassung der BRAO ergangen.
Für das steuerberatende Berufsrecht kann, da der EuGH die „Wahrung der ordnungsgemäßen Rechtspflege“, den Schutz der anwaltlichen Integrität und Unabhängigkeit in den Vordergrund stellt, aufgrund der gleichwertigen gesetzlichen Stellung als unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege mit Prozessführungsbefugnis und des vergleichbaren Berufsrechts davon ausgegangen werden, dass die im StBerG verankerte Kapitalbindung Bestand hat.